Das Training rund um’s Training

Teil 3: Rehabilitation und Training nach Verletzungen

Silke Meermann

Bei vielen Verletzungen oder auch bei chronischen Erkrankungen stellt sich häufig die Frage, ob und ab wann bzw. wie stark der Hund belastet werden kann. Geht eine Erkrankung nicht mit akuten Schmerzen einher, ist es gerade bei arbeitseifrigen Hunden wie Border Collies schwierig, deren Bewegungsdrang zu begrenzen, und auch der Besitzer sieht sich oft in der Zwickmühle: Möchte man zusehen, wie der Hund „arbeitslos unglücklich“ ist, dadurch vielleicht aber bessere Heilungsaussichten oder sogar eine höhere Lebenserwartung hat? Oder möchte man ihn lieber rassegerecht beschäftigen und nimmt dadurch ein größeres Gesundheitsrisiko in Kauf? Solche Überlegungen kennt der Junghundbesitzer, bei dessen Tier eine HD diagnostiziert wurde, genauso wie der Besitzer eines älteren Hundes, bei dem Arthrosen oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen festgestellt wurden. Heute weiß man, dass bei den meisten Erkrankungen Überbelastungen zwar unbedingt zu vermeiden sind, dass aber kontrollierte Bewegung einer vollständigen Ruhigstellung vorzuziehen ist.

Gewebe

Folgen einer Überbelastung

Folgen vollständiger Ruhigstellung

Knochen

- Überlastungsfraktur (Bruch)

- Osteoporose (Knochenerweichung)

Gelenkknorpel

- Degenerative Gelenkerkrankungen (Arthrose, Spondylose, HD, OCD etc.)

- schlechter Fluss der Gelenkschmiere => schlechte Knorpelernährung
=> fehlende Nachbildung von Knorpelsubstanz
- geringe Wasserbindungsfähigkeit => Elastizitätsverlust
- langfristig Degeneration und Verknöcherung

Sehnen

- Anfälligkeit für Sehnenrisse

- Verlust der Reißfestigkeit; nach vier Wochen sinkt diese um 80%

Kapseln und Bänder

- Anfälligkeit für Bänder- und Kapselrisse

- Verlängerung und Ausleiern => fehlende Gelenkstabilität
- Fibrosen (Verklebungen) => Einschränkung der Beweglichkeit
- Bildung von Faserknorpel
- Belastbarkeit sinkt nach vier Wochen um 80%

Muskeln

- Muskelkater
- Verspannungen

- Muskelfaserrisse

- Muskelatrophie (Abbau), besonders der „Fast-Twitch“-Fasern
- Muskelverkürzung durch Bildung von „Cross-Links“
=> eingeschränkte Kontraktion und Entspannung
- Sehr schneller Funktionsverlust bei Muskeln, die in verkürzter Position
fixiert werden (schlecht angelegte Verbände oder Schienen)

Gesamter Organismus

- Kreislaufkollaps, Überhitzung

- schlechter Trainingszustand

Gibt es für akute Verletzungen Faustzahlen, wie schnell mit einer Heilung gerechnet werden kann, ist bei den meisten chronischen Erkrankungen (z.B. HD, Arthrosen, Spondylosen) die Entwicklung individuell verschieden und auch das Ausmaß eines im Röntgenbild sichtbaren Schadens sagt noch nichts darüber aus, wie der Hund tatsächlich damit zurecht kommt. So ergab beispielsweise eine Untersuchung an Hunden, bei denen im Alter von etwa einem Jahr HD festgestellt wurde, dass bei 76% von ihnen im Alter von vier Jahren noch keine nennenswerten Lahmheiten festzustellen waren.

Ausheilungszeit nach Verletzungen

Knochen

Durchschnittlich sechs Wochen; bei Jungtieren schneller, bei älteren Tieren langsamer; auch dann langsamer, wenn Knochenenden weit voneinander entfernt liegen

Sehnen

1-1,5 Jahre!

Bänder/Kapseln

Bis zu 1 Jahr!

Oft bezieht sich die Einschätzung der Heilungsaussichten auf den durchschnittlichen Familienhund – um Missverständnisse zu vermeiden, sollte man mit dem Tierarzt besprechen, was in Zukunft vom Hund erwartet wird. Bei der Arbeit am Vieh sind Gelenke und Muskulatur einer viel höheren Belastung ausgesetzt als beim normalen Spaziergang!

REHABILITATION UND TRAINING NACH VERLETZUNGEN

Im folgenden werden mögliche Behandlungs- und Trainingsansätze für ausgewählte Erkrankungen beschrieben (die Aufzählung erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Bevor mit einem Bewegungsprogramm begonnen wird, muss dies unbedingt mit dem behandelnden Tierarzt besprochen werden; möchte man einen Tierphysiotherapeuten hinzuziehen, sollte man sich vorab über dessen Ausbildung informieren, da der Begriff in Deutschland nicht geschützt ist).

Arthrosen

Arthrosen sind degenerative Gelenkveränderungen; sie kommen entweder durch eine Überbeanspruchung des an sich nicht erkrankten Gelenks zu Stande (bei Sport- und Arbeitshunden sowie übergewichtigen Tieren häufig, aber auch Teil des normalen Alterungsprozesses) oder sind Folge einer Fehlstellung bzw. Fehlbelastung des Gelenks. Es kommt zu einem Teufelskreis: die Fehlbelastung bzw. Überlastung führt zu einer Degeneration des Gelenkknorpels, die mit Schmerzen einhergeht, so dass der Hund das Gelenk entlastet. Dadurch kommt es zu einer Unterversorgung des Knorpels, die wiederum der Degeneration Vorschub leistet. Um diesen Teufelskreis zu durchbrechen, gibt es verschiedene Behandlungsansätze:

Gelenkerkrankungen wie HD, ED oder OCD werden häufig beim Junghund aufgrund einer Lahmheit oder im Rahmen von Untersuchungen zur Zuchtzulassung diagnostiziert. Ihnen ist gemein, dass sie durch genetische Faktoren sowie körperliche Überlastung und eine fütterungsbedingte Überversorgung mit Energie, Eiweiß und Mineralstoffen bedingt werden. Vor allem Fehlstellungen am Ellbogengelenk (Sammelbegriff = Ellbogengelenksdysplasie; darunter werden der Isolierte Processus Anconaeus, IPA, und der Fragmentierte Processus Coronoideus, FPC, zusammengefasst), sowie abgelöste Knorpelschuppen im Gelenk (= OCD, Osteochondrosis Dissecans) führen meist schon beim Jungtier zu starken Lahmheiten und müssen daher oft operiert werden. Bei HD steht ebenfalls eine Vielzahl chirurgischer Behandlungsmöglichkeiten zur Verfügung – nicht jeder Hund, bei dem eine HD diagnostiziert wurde, entwickelt jedoch zwangsläufig starke Probleme (s.o.). Auch nach einer Operation kann nicht mit derselben Belastbarkeit gerechnet werden wie bei einem gesunden Hund; eine Gelenkschädigung lässt sich zwar aufhalten, nicht aber rückgängig machen. Aus diesem Grund sollte besonderer Wert auf vorbeugende Maßnahmen wie Ausschluss erkrankter Tiere von der Zucht und Vermeidung einer Überlastung und Überversorgung des Junghundes gelegt werden.

Knochenbrüche

Ob ein Bruch einfach geschient werden kann oder ob eine Operation nötig ist, hängt von der Verletzung selbst, aber z.B. auch von Alter und Gewicht des Hundes ab. Je weniger Knochenstücke zusammenwachsen müssen und je jünger das Tier ist, umso schneller heilt der Bruch. Entsprechend früher kann auch wieder mit einer vorsichtigen Belastung begonnen werden. Zuvor muss in jedem Fall eine Röntgenaufnahme gemacht werden, um den Heilungsverlauf zu beurteilen. Neben passiven Bewegungsübungen kann durch Massagen und Elektrotherapie die umgebende Muskulatur angeregt werden, dadurch wird eine Belastung simuliert und der Abbau von Knochenmaterial verhindert.

Bänderrisse

Die häufigste Bandverletzung beim Hund ist der Riss des vorderen Kreuzbandes im Knie. Nach einer Weile wird die Verletzung durch eine Verstärkung der Gelenkkapsel und eine erhöhte Muskelspannung teilweise stabilisiert – dennoch schreitet die Degeneration des Gelenks weiter fort und Arthrosen sind die Folge. Oft kommt es durch die verstärkte Belastung des anderen Hinterbeins dort ebenfalls zu einer Verletzung. Selbst wenn operiert wird, erlangt die Gliedmaße nicht dieselbe Stabilität wie zuvor. Wie schnell und mit welcher Art von Belastung nach einer Operation wieder begonnen werden kann, ist von der jeweiligen Methode abhängig: nach Operationen außerhalb der Kapsel wünscht man sich eine frühe Belastung, wobei Sprünge und schnelle Bewegungen aber für mindestens drei Monate vermieden werden müssen. Wird innerhalb der Gelenkkapsel ein Ersatzband eingesetzt, müssen solche Bewegungen sogar für etwa sechs Monate vermieden werden. Bei einer relativ neuen Operationsmethode wird ein Keil aus dem Unterschenkel genommen und so die Mechanik des Kniegelenks verändert; hier wird die Belastung noch langsamer gesteigert, Muskelkräftigungsübungen dürfen erst nach mehreren Wochen durchgeführt werden.

Sehnenschäden

Bei der Ausheilung von Sehnenschäden sind passive Bewegungsübungen und vorsichtiges Dehnen ohne Gewichtsbelastung jeweils nach Wärmeanwendung wichtig. Da Sehnenschäden sehr lange benötigen um auszuheilen (bis zu anderthalb Jahre), kann das Gelenk durch Schienen stabilisiert werden. Dabei erfordert es jedoch oft einiges an Improvisationstalent, da solche Hilfsmittel beim Hund leider noch nicht sehr weit entwickelt sind.

Muskelverletzungen

Bei Muskelkater und Verspannungen spielen zwei Mechanismen eine Rolle: die Durchblutung ist gestört, dadurch werden Stoffwechselschlacken schlechter abtransportiert und der Muskel ist „übersäuert“ – außerdem führt Überanstrengung zum Abriss kleinster Faserköpfchen (so genannte „Myosin-Köpfchen“). Diese Effekte können durch ein geeignetes Aufwärmen der Muskulatur und eine langsame Steigerung des Trainings verhindert werden und Tiere mit Muskelkater sollten einige Tage pausieren. Muskelfaserrisse führen zu einer stärkeren Schädigung des Gewebes, hier ist es besonders wichtig, dem Tier ausreichend Ruhe zu gönnen, da eine zu frühe Belastung zu einem erneuten Riss führt, der dann meist nur unter Narbenbildung heilt. Muskelverletzungen können mit Massage und Wärme behandelt werden. Elektrotherapie ist sinnvoll, da sie den Muskel aktiviert ohne ihn zu belasten; so wird die Durchblutung verbessert und Verklebungen und Muskelabbau verhindert.

Allgemeine Grundsätze

Für alle Verletzungen gilt, dass der Hund so lange kontrolliert, d.h. mit kurzer Leine gearbeitet werden muss, bis folgende Bedingungen erfüllt sind:

In der Praxis bedeutet dies, dass der Hund meist über einen Zeitraum von einigen Wochen mehrmals täglich einige Minuten an der kurzen Leine im Schritt geführt werden darf und zusätzlich bestimmte physiotherapeutische Übungen machen sollte. Auch zwischen diesen Einheiten darf er weder Treppen steigen noch ins Auto springen, zur Tür rennen oder mit anderen Hunden toben. Jede plötzliche Bewegung kann den eingesetzten Heilungsprozess zunichte machen, so dass es zu einer Narbenbildung mit dauerhafter Bewegungseinschränkung kommt!

BEDEUTUNG VON SCHMERZ UND EINSATZ VON SCHMERZMITTELN

Schmerzen entstehen durch eine Gewebeschädigung und dienen dem Körper als Warnsignal, um ihn vor weiteren Schäden zu bewahren – aus diesem Grund muss vermieden werden, dass der Hund unter akuten Schmerzen arbeitet, weil hier die weitere Verletzungsgefahr enorm hoch ist. Gleiches gilt, wenn ein Hund nur deshalb schmerzfrei ist, weil er Medikamente bekommt! Viele Arbeitshunde werden außerdem durch den Anblick der Schafe so stark erregt, dass sie für Schmerzen in diesem Moment unempfindlich werden und dadurch ebenfalls Gefahr laufen, sich zu übernehmen (Schmerzwahrnehmung wird durch Stress reduziert, für die meisten Hunde sind die Schafe ein starker „positiver“ Stressfaktor). Immer wieder kommt es vor, dass Hunde während einer Arbeitseinheit nicht auffällig lahmen, in dem Moment, wo sie zurückgerufen werden, aber deutlich humpeln, weil sie sich während des Laufs verletzt haben. Auch sieht man ab und zu, dass ein Hund nach einem Lauf völlig erschöpft zusammenbricht, weil er – ähnlich wie ein Marathonläufer – bis an die Grenze seiner körperlichen Leistungsfähigkeit gegangen ist. Anzeichen für eine akute körperliche Überforderung sind Stolpern, Hecheln mit verbreiterter Zungenspitze, sowie schlechtes Annehmen von Kommandos – in solchen Fällen ist es Aufgabe des Besitzers einzugreifen, um den Hund vor sich selbst zu schützen und nachteilige Folgen für seine Gesundheit zu verhindern!

Im Gegensatz zu akuten Schmerzen haben chronische Schmerzen nur noch bedingt Warnfunktion und können sich zudem verselbstständigen. Hier sollte man mit dem Tierarzt besprechen, ob der Hund auch unter Schmerzmitteln vorsichtig bewegt bzw. gearbeitet werden darf. Durch die sinnvolle Anwendung von Medikamenten kann der Hund ein Stück Lebensqualität zurückerhalten – Medikamente sollten aber niemals dazu eingesetzt werden, Leistung auf unnatürliche Weise zu steigern. Für Menschen, Pferde, Brieftauben und Windhunde gibt es Vorgaben, welche Medikamente bei Wettkämpfen verboten sind: hierzu zählen u.a. Aufputschmittel (Kokain, Amphetamine, Kodein, Koffein), Beruhigungsmittel und muskelaufbauende Anabolika.

HÜTEARBEIT

Kann man in anderen Bereichen die Belastung nach einer Verletzung langsam wieder steigern, indem man z.B. die Trainingsdauer in kleinen Schritten immer länger werden lässt oder beim Sprungtraining die Hürden nach und nach ein Stückchen höher legt, ist dies bei der Arbeit an Vieh viel schlechter möglich. Man sollte versuchen, den ersten Schafkontakt so ruhig wie möglich zu gestalten: die Bodenverhältnisse dürfen nicht zu uneben und die Schafe nicht zu flüchtig sein, der Hund sollte außerdem nicht sofort auf einen Outrun geschickt, sondern besser im Kommando an die Schafe herangeführt werden und dann mit einem langsamen Wegtreiben beginnen.

Die meisten Arbeitshunde sind nach einer verletzungsbedingten Pause völlig übermotiviert, wenn sie das erste Mal wieder an die Schafe dürfen. Daher ist es hier um so wichtiger, ausreichende Schonzeiten einzuhalten und den Hund sorgfältig ohne Vieh auf die eigentliche Belastung vorzubereiten. Unter Umständen kann mit Schienen oder Bandagen gearbeitet werden, der Hund muss aber alle anderen Anforderungen schmerz- und lahmfrei überstanden haben!

Letztendlich muss jeder Besitzer selbst entscheiden, wie viel Bewegung und Belastung er seinem Hund zukommen lässt und ob er vielleicht eine etwas verkürzte Lebenserwartung bei dafür höherer Lebensqualität durch rassegerechte Beschäftigung in Kauf nimmt. Es ist jedoch ein Unterschied, ob man einen älteren Hund mit Arthrosen oder leichten Herzproblemen für einfache, von ihm gut zu bewältigende Aufgaben zu Hause einsetzt, oder ob man denselben Hund noch auf einem Wettkampf startet, wo die Gefahr einer Überlastung sicherlich viel größer ist. Alle Aufgaben, die einem Hund gestellt werden, sollten von ihm (auch körperlich) zu bewältigen sein. Dabei ist es egal, ob es sich um einen Junghund am Anfang der Ausbildung oder einen älteren, erfahrenen, aber durch Arthrosen etwas langsameren Arbeitshund handelt – dies ist nicht nur die sinnvollste Vorbeugemaßnahme gegen Verletzungen, sondern auch gegen frustrierende Trainingserfahrungen auf beiden Seiten

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Literaturempfehlungen zum Thema:

Barbara Bocksthaler, David Levine, Darryl Millis: Physiotherapie auf den Punkt gebracht, BE VetVerlag, 2004

M. Christine Zink: Fitnesstraining für Hunde, Müller Rüschlikon Verlags AG, 2005

Sabine Mai: Bewegungstherapie für Hunde, Sonntag Verlag, 2006